Anschwellendes Geschwätz by Jürgen Roth

Anschwellendes Geschwätz by Jürgen Roth

Autor:Jürgen Roth
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Oktober Verlag
veröffentlicht: 2012-12-11T00:00:00+00:00


Von Grimm und vom Grimmen

Den vorerst strammsten und knalligsten Satz zu einer Debatte, die am 6. August 2004 ins Rollen kam, weil der Spiegel und der Springer-Verlag gemeinsam verkündet hatten, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, trug kein Geringerer als Franz Josef Wagner bei. Hemingway, schrieb Wagner am 10. August in die Bild-Zeitung hinein, »brachte sich nicht wegen der Rechtschreibung um«.

Das war so mutmaßlich korrekt wie olympisch-ingeniös dahingesagt und sicherte Wagner ein rares Plätzchen über allen anderen, die sich in dieser Causa fortan bemüßigt fühlten, täglich ihre Zeitungsseiten in einer Sprache zu füllen, die sie nicht beherrschen.

Die deutsche Sprache, scheint’s, ist des Deutschen drittliebstes Leib- und Magenthema, nach den vielen Ausländern/Juden und den Automobilen. Bei der Sprache – und d. h. in Fragen der rechten Schreibung, die für achtundneunzigkommadrei Prozent der Deutschen ohnehin ein Buch mit hundert verrosteten Siegelschlössern ist, aber das soll nicht weiter stören –, bei der Sprache geht es um mehr als die Wurst, da geht es um den Geist und den Volkswillen und ähnlichen Schamott.

1996 war die sog. neue Rechtschreibung beschlossen, am 1. August 1998 in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingeführt worden. Ein Jahr, bevor sie verbindlich werden sollte, verweigerten Spiegel-Chef Stefan Aust und Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Springer-AG, nun den Gehorsam und teilten mit, sämtliche Druck- und Onlinepublikationen ihrer Häuser in Kürze wieder in der »klassischen« Rechtschreibung erscheinen zu lassen.

Aust attackierte die »kleine Gruppe von Experten«, die der »Bevölkerung« ein Regelwerk oktroyiere, das »die Mehrheit der Bevölkerung« nicht wolle, weshalb man sich zu einem »Akt des zivilen Ungehorsams« entschlossen habe und Widerstand leiste gegen »eine zwangsneurotische Bürokratenlösung«, gegen eine »Anmaßung«, die nicht zur Vereinfachung der Orthographie und der Interpunktion beigetragen, sondern zum vollendeten Chaos geführt habe. »Aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen«, schloß die Spiegel-Springer-Erklärung, »empfehlen wir auch anderen die Beendigung der staatlich verordneten Legasthenie und die Rückkehr zur klassischen deutschen Rechtschreibung.«

Lassen wir dahingestellt sein, ob die Verschwörung gegen das Deutsche von einem Klüngel durchgeknallter Linguisten und depperter Kultusminister angezettelt wurde; und lassen wir des weiteren offen, ob, wie die hellwache taz flink unkte, hier eine »Machtprobe« zu besichtigen war, ein Kampf auf Biegen und Erbrechen, der einerseits um die Schreibweise des Wortes »Schiffahrt«/»Schifffahrt«, andererseits zwischen besagtem »Männerbündnis« und der »Politik« um die Hoheit in Sachen Reformwesen und -fähigkeit geführt wurde; in der Sache selbst hatten und haben Aust und Konsorten recht, selbst wenn sie nicht wissen, warum, und deshalb ihren populistischen Cocktail aus Beamtenschelte und Kulturschmökkerei anrührten.

Zweifelsohne hat die neue, vielfach und tatsächlich »klammheimlich« (Aust) korrigierte Rechtschreibung dafür gesorgt, daß etwa das Zeitunglesen, so es das nicht schon immer war, zur Tortur geworden ist. Das »Desaster« (Aust) der orthographischen Verdummung läßt sich an jedem beliebigen Artikel ablesen, in dem nunmehr die lustigen Buchstaben und Wörter herumfliegen wie der Kehricht nach der Kirchweih. Und Aust ist sogar dann nicht zu widersprechen, wenn er behauptet: »Die Schreib- und Lesefähigkeit der jungen Generation nimmt nachweislich ab.« Allein, die Rechtschreibung ist weder »klassisch« noch ein – so suggerierten es Aust und andere – vom »Volk« selbst verfügter, noch von



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